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ISLA

Man hätte auch annehmen können, es handle sich um ein rotes Taschen- oder Halstuch, versehentlich liegen gelassen oder vielleicht doch absichtlich neben die Loipe hingeworfen. Man kennt das ja auch hier oben auf fast 2000 Metern über Meer, Menschen, die boshaft oder nachlässig Abfall hinwerfen oder einfach liegen lassen, wo immer das sein mag, nicht nur an den Ufern von Seen und Flüssen im Unterland, auch auf allen Strassen,Wegen und Stegen und vor allem immer wieder auf den Parkplätzen. Dort bleibt der Unrat oft tagelang liegen, bis die Strassenkehrer - immer häufiger auch sorgfältig instruierte Asylanten - aufkreuzen. Immer wieder. Sisyphos.

Und eben auch während Monaten im tiefen Schnee unter den Sessel- und entlang den Ski-Liften, in Isla auch neben der Loipe, im satten Weiss, das im Winter so manchen Abfall gütig zudeckt, aber später, wenn der Frühling vorbei und der Sommer kommt, unerbittlich freigibt. Littering nennt man das heute und dessen Bewältigung ist inzwischen zu einer lästigen und kostspieligen Aufgabe der Öffentlichkeit geworden.

Ignaz, ein muntere Drittklässler, der hier in Isla um diese Jahreszeit fast täglich mutterseelenallein auf schmalen Brettern seine Runden zieht, erblickt eines schulfreien Nachmittags zufällig jene merkwürdig rotgefärbte Stelle im frischen Schnee.Wer hat da wieder was weggeworfen? Ein Taschentuch? Ein Halstuch? Handschuhe?

Er bleibt neugierig stehen. Kein Mensch weit und breit. Was soll dieses rote Zeug dort drüben im Schnee? überlegt sich der muntere Knirps, verlässt die Loipe, stapft näher hinzu und meint, ein Paar weisse Handschuhe zu sehen, weisse Handschuhe mit seltsam roten Flecken. Sieht aus wie Blut oder wie rote Farbe, meint er nach kurzer Überlegung, der schon einige Male mit zerschundenem Knien oder blutendem Ellbogen nach Hause gekommen ist, Hemd und Socken voll roter Spritzer, er, der Sohn eines begeisterten Jägers. Könnte Blut sein, meint er, eilt nach Hause und berichtet seiner Mutter und später am Abend auch dem Vater von seiner Entdeckung im frischen Schnee. Blut. Wahrscheinlich Blut. Sehr wahrscheinlich.

Sein Vater ist nicht nur in erster Linie ein leidenschaftlicher Jäger wie so manche Bündner, das sagen bloss seine Freunde. Von Berufs wegen ist er Polizist, Dorfpolizist. Und gute Polizisten müssen doch irgendwie auch gute Jäger sein.

Nach einigen Rückfragen neugierig geworden, lässt er sich erst am folgenden Tag von seinem Söhnchen an die besagte Stelle führen. Das ist noch früh genug, meint er beruhigend, das wird nichts Besonderes sein. Du hast wohl Geister gesehen. Das kommt vom vielen Fernsehen, du Schlingel.

Und da ist wirklich nichts Auffälliges zu sehen im luftig schimmernden Schnee neben der Loipe als einige unauffällige Unebenheiten. Nichts da von einem roten Tüchlein noch von Handschuhen, von einem Shawl oder was auch immer. Ignaz ist verwirrt und kämpft mit den Tränen. Begütigend schüttelt der Vater seinen Kopf, lächelt versöhnlich und kratzt sich im Haar. Was hat sein Jüngster da wieder gesehen, dieser kleine Phantast? Du hockst zu viel vor dem Fernseher, du Schlingel.

In diesem Augenblick kurvt auf schmalen Brettern ein junger Mann heran, bremst abrupt, so dass es stiebt, rammt beide Stöcke gekonnt in den Schnee. Er kennt den Polizisten vom Eishockey Club her. Er kennt auch den kleinen Ignaz. Die meisten hier in Arosa kennen den leidenschaftlichen Jäger und seine Familie, den forschen Polizisten, nicht nur die Skilehrer, Skilehrerinnen, die Schlittenkutscher. Ja, dort neben der Loipe hätten während Tagen ein paar weisse Handschuhe gelegen, ein Halstuch oder Ähnliches, merkwürdig rot verschmiert, sah wie Blut aus oder wie Tomatensauce oder Ketchup. Ignaz blickt zu seinem Vater hinauf: Hörst du, Klapi, ich habe doch recht gehabt! Und der schüttelt seinen Kopf, diesmal um einiges kräftiger und kratzt sich erneut verlegen im Haar.


Ahmed hatte an der palästinensischen Universität Bir Zeit (BZU) im Westjordanland studiert, welche sich etwa sechsundzwanzig Kilometer nördlich von Al-Qds (Jerusalem) befindet, in den Judäischen Hügeln, in der von den Israeli besetzten West Bank, und zwar an der Fakultät Handel und Wirtschaft (Commerce and Economics). Das war in der zweiten Hälfte der neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, also noch vor den Unterschriften von Israels Ministerpräsident Barak und dem Palästinenserführer Arafat in Sharm ash-Sheikh unter das Umsetzungsprotokoll für das Wye-Abkommen.

An der Universität Bir Zeit hatte auch die Braut von Ahmed, die strahelnd unglückselige Aischa, studiert. Beider Eltern hatten von allem Anfang an nichts gegen diese Verbindung einzuwenden. Sonst hätten sie ihre Kinder an der islamischen Universität in Gaza studieren lassen, wo die jungen Frauen und Männer getrennt unterrichtet wurden. Bir Zeit war immerhin die palästinensische Universität mit den höchsten Standards. Aischa und Ahmed hatten eines der besten Taudschihi-Ergebnisse (Maturität) ihres Jahrgangs erzielt. Die Verbindung von Aischa und Ahmed stand im Einklang mit der ambitiösen Familienpolitik ihrer Eltern. Diese waren froh über die gegenseitige Zuneigung der zwei jungen Leute und dankten Allah innig und immer wieder für diese Fügung, zu der sie - wie sie mit demütigem Stolz bekannten - selber doch Wesentliches beigetragen hatten, bevor sie das so Gefügte später umso heftiger verfluchten.

Der Vater hatte seine ursprüngliche Enttäuschung darüber, dass seine Frau nur eine Tochter geboren hatte, im Laufe der Jahre nicht eigentlich abzulegen versucht. Sie war mit den Jahren einfach schwächer geworden, und dies um so mehr, als seine Tochter ein Verhalten zeigte, das er sich gerne für einen Sohn gewünscht hätte: Gebaren der Überlegenheit, die manchmal Züge der Arrognaz annehmen konnten, Gesten der Stärke vorerst gegenüber den gleichaltrigen Mädchen, Tatkraft, Härte nicht zuletzt gegenüber sich selbst. Und die Erziehung durch die Eltern folgte willig diesem ursprünglichen Streben der Natur. Aber später, zur Zeit ihrer Pubertät, war der Vater irritiert, eine Tochter zu haben, die immer wieder so widerspenstig und nach seinem Befinden anmassend, männlich auftrat. Frech und unbekümmert zunächst nicht nur mit den gleichaltrigen Gespielinnen, sondern in späteren Jahren vor allem den jungen Männern gegenüber. Und was ihn besonders störte und befremdete: sie verschonte auch die älteren Mitglieder der Familie und die engere und weitere Verwandtschaft nicht. Ausgenommen waren, was ihr äusseres Verhalten betraf, allein der Vater und später ihr Freund und Verlobte: Ahmed.

Wie eine Festung, wie eine ganz eigene Welt mindestens erschien vielen Aussenstehenden die BZU, die Bir Zeit University, 1975 gegründet, ein bedeutendes intellektuelles Zentrum der Palästinenser, ein Quellgrund des wachsenden palästinensischen Geisteslebens, ein Bollwerk, das für viele junge Leute wie eine Drohgebärde erlebt wurde, eine Drohgebärde gegenüber Israel. Und Drohgebärden gehörten immer wieder auch zum gewöhnlichen Alltag nicht nur der palästinensischen Studentinnen und Studenten.

Die Universität war nicht so gross wie die in Gaza. Als Campus nach amerikanischen Vorbildern mit zahlreichen auf dem Gelände verstreuten Gebäulichkeiten alles andere als eine sichtbare, von aussen wahrnehmbare Festung. Einige Tausend Studenten bevölkerten den Campus. Etwas mehr als ein Drittel davon waren Frauen, die sich zum Teil modern und fortschrittlich gebärdeten , obwohl ihnen die Bevorzugung der Männer in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens auch hier immer wieder zu schaffen machte. Wenige stellten sich ihren Kommilitonen entgegen. Sie konkurrierten auf unterschiedliche Weise und schienen trotzdem vor allem an Mutterschaft und der Gründung einer eigenen Familie interessiert. Nicht unmittelbar. Dies lag eher im Interesse vieler Eltern und der Verwandten.

Die Palästinenser benötigen gut ausgebildete Leute für ihr erträumtes Land, für ein unabhängiges und freies Palästina, für eine florierende Wirtschaft und nicht zuldetzt für eine gut funktionierdende Verwaltung, aber auch für eigenständige kulturelle Aktivitäten.

Den jungen Frauen war durchaus bewusst, dass im späteren Leben in vielen Belangen die Männer weiterhin die Nase vorne haben würden. Nur wenige litten darunter nach aussen sichtbar. Aber es gab unverkennbar eine zunehmende Zahl von jungen Frauen, die immer weniger die männliche Dominanz zu akzeptierten bereit waren. Sie stellten in zunehmendem Masse die immer gleiche Argumentation vieler Männer - und insofern den Koran - ganz sachte aber unnachgiebig in Frage: die Frauen wären mit dieser „gottgegebenen“ Ordnung nicht nur einverstanden, sondern zudem auch viel besser aufgehoben als die westlichen Frauen und insofern auch zufriedener und glücklicher.

Dies erinnerte an die Situation bis vor wenigen Jahren im Kanton Appenzell in der Schweiz, wo muntere und weltoffen wirkende Frauen im Radio oder am Fernsehen ganz unbefangen und gar mutwillig augenzwinkernd aussagten, sie hätten doch trotz allen Unterstellungen von aussen, von ausserhalb des eigenen Kantons, völlig ausreichende Möglichkeiten der Einflussnahme auf ihre Männer. Nicht nur im privaten Bereich. Sie würden den Männern gern und auf alle Fälle ohne grundsätzlichen Argwohn die politische Arbeit und das Repräsentieren und Reden in der Öffentlichkeit überlassen. Man erhielt dabei manchmal den merkwürdigen, beunruhigenden, für manche aber belächelten Eindruck, die Appenzeller Männer würden öffentlich bloss in die Tat umsetzen, was ihnen von den Frauen erlaubt oder vielleicht gar nächtlicherweise zugeflüstert worden war.

Gegenüber aussenstehenden, nicht palästinensischen Personen hüteten sich die Studentinnen gewöhnlich, ihre zunehmende Unzufriedenheit über die sie störende und verstörende Dominanz der Männer deutlich auszudrücken. Sie fühlten sich fast ausnahmslos unbehaglich, wenn sie von westlichen Journalisten oder gar Journalistinnen zu diesem Thema interviewt wurden oder Fragebögen eines renommierten soziologischen Institutes ausfüllen sollten, auch wenn diese als streng wissenschaftlich gekennzeichnet waren.

Der Vorwurf der mangelnden Solidarität und Gottgläubigkeit innerhalb der Familie war für die jungen Frauen nicht leicht zu ertragen. Noch weniger der Vorwurf, sie würden auf billige Art westliche Lebensweise gut heissen oder gar selber anstreben. Die meisten Studentinnen waren trotzdem fest davon überzeugt, dass das Land, das palästinensische Volk sie benötigte, und zwar nicht nur als Töchter, Ehefrauen, Mütter und emotionalen Rückhalt für die Männer.

Manche junge Frauen empfanden jedoch in zunehmendem Masse ihre Schlechterstellung gegenüber dem Mann als eine von Menschen, das heisst von Männern gemachte und nicht als Ausdruck des Willens Allahs. Und diese Erkenntnis war nicht ungefährlich.

Aber störend, ja demütigend empfanden viele die beharrlich wiederkehrenden Hinweise aus westlichen Kreisen auf bestimmte Stellen im Koran. Was nützte da der Hinweis vor allem der Männer auf die wirtschaftliche Schlechterstellung der Frauen auch im Westen, sogar in der reichen Schweiz. Den Frauen dort ging es wirtschaftlich allemal um einiges besser als denen im Nahen Osten, Israel freilich ausgenommen. Aber Israel, das verdammte Israel gehörte ja zum Westen.

Die Braut von Ahmed, Aischa, trug in der Öffentlichkeit nicht selten den Hidschab. Oft trug sie auch auffallend weisse Handschuhe. Auffallend nicht nur, weil die dunkle Hautfarbe und die dunklen Grau- und Brauntöne des Hidschabs den entsprechenden verstärkenden Hintergrund abgaben, auffallend auch deswegen, weil sonst niemand dort anzutreffen war, der Handschuhe trug, geschweige denn von dieser scharfen Weisse.

Aischa war bekannt als hinreissende Rednerin wider den Judenstaat und für ein geeintes und starkes Palästina. Sie konnte sehr gut reden, auch unvorbereitet, aus dem Stegreif, und wirkungsvoll argumentieren. Sie brauchte die an der Bir Zeit Universität angebotenen Rhetorikkurse nicht. Sie hätte selber solche anbieten und leiten können. So wiederholte sie immer wieder an den regelmässig stattfindenden Studenten-Treffen ausserhalb des regulären Studienbetriebes mit scharfer, beinahe greller und manchmal sich überschlagender Stimme, Israel müsse von der Landkarte verschwinden, müsse vernichtet, ausradiert werden. Und dabei machte sie mit einiger Heftigkeit und Nachdrücklichkeit die entsprechende unterstreichende Bewegung mit ihrer zierlichen Linken, geschützt von einem schneeweissen Handschuh, was an eifrige Polizisten in den fahrzeugdurchfluteten Städten erinnerte, welche ungeduldig fordernd den Verkehrsfluss zu beschleunigen versuchen.

Aischa hatte Verbindungen mit Studentinnen in anderen Ländern, so auch mit tunesischen und marokkanischen Frauen, auch mit Aicha Ech-Channa, deren Buch „Miseria“ sie verschlungen hatte, lange bevor die ersten öffentlichen Würdigungen und Auszeichnungen erfolgten. Seltsam unsicher in ihrem Urteil war sie gegenüber Dschabra Ibrahim Dschabra, dem einheimischen Schriftsteller. Sein Kurzroman „Das vierzigste Zimmer“ hatte sie mit zunehmender Irritation gelesen, die Beschreibung des Identitätsverlustes eines Mannes im kafkaesken Gang durch ein Gebäude, dessen vierzigstes Zimmer nicht betreten werden durfte. Mit Freude hatte sie jedoch die Worte des 1961 verstorbenen Königs, Mohamed V., gelesen. Das Land, wo die Frau kein aktiv handelnder Teil sei, gleiche einem gelähmten Körper, von dem man nichts Konstruktives erwarten könne.

Aber was hiess das im Alltag? Ganz konkret. Beim Essen und Trinken. Im Schlafgemach. Am Arbeitsplatz. Auf der Strasse. In der Schule, an der Universität. Es ist doch allenthalben rasche Übereinstimmung zu finden, beinahe bedenkenloses Beifallnicken - bei Christen wie bei Juden und Mohammedanern - , wenn allgemeine Werte zur Diskussion stehen: Wir wollen den Frieden. Wir wollen endlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir wollen frei sein. Wir wollen Sicherheit. Die Menschenwürde ist zu achten. Die Menschenrechte müssen geschützt werden! Liebet einander! Freiheit!Gerechtigkeit! Wohlstand für alle!

Im konkreten Einzelfall jedoch, im gewöhnlichen Alltag machen sich Unsicherheit, Rechthaberei, Verwirrung, Verdächtigungen, Zwist, Tod und Teufel breit: Comédie humaine.

Die brennende und vor allem die Frauen interessierende Frage war also, wo überall und in welchem Ausmass die Frauen aktiv und somit auch stärker werden sollten, ohne den abwehrbereiten Widerstand, ohne die Herablassung oder gar den Hass der Männer auf sich zu ziehen. Und es war ihr schmerzlich bewusst, wie lange der Weg für die Frauen hier und in vielen vom Islam dominierten Ländern noch war, die offensichtlichen Unterschiede, die nicht zu leugnenden ärgerlichen Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen zu beseitigen.

Ungerechtigkeiten, Ungereimtheiten zwischen Männern und Frauen gibt es freilich auch im christlichen Westen noch genügend, von Männern geschlagene, vergewaltigte und sonstwie misshandelte Frauen, ganz zu schweigen von der unentwegt lohnmässigen Schlechterstellung vieler Frauen trotz anders lautenden Gesetzen, Hintansetzung von Frauen bei der Besetzung von bedeutenden Positionen in Politik, Kultur und Wirtschaft.

Aischa hatte ihre Lust am lautstarken Streit mit Männern, vor allem mit ihren Kommilitonen. Schon als junges Mädchen reizte sie der Gedanke, die vierte Sure, vor allem Vers 35 anzugreifen, auszumerzen oder doch wenigstens zu ergänzen: ”Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden (weil sie für diese verantwortlich sind), weil Allah auch die einen vor den anderen mit Vorzügen begabte und auch weil jene diese erhalten. Rechtschaffene Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, damit auch Allah sie beschütze. Denjenigen Frauen aber, von denen ihr fürchtet, dass sie euch durch ihr Betragen erzürnen, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer, sperrt sie in ihre Gemächer und züchtigt sie. Gehorchen sie euch aber, dann sucht keine Gelegenheit, gegen sie zu zürnen; denn Allah ist hoch und erhaben.”

Wie steht es aber - um nur ein Beispiel hier zu nennen - mit den Evangelikalen in aller Welt, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz, bei denen der Mann gemäss Aussage der Bibel fraglos und unangefochten das Haupt der Familie ist, die Frau sich ihm unterzuordnen hat sowohl in der Familie als auch in der Gemeinde? Wo ungestraft gestraft werden darf? Und dies alles mit Bibelstellen begründet.

Aber auch die 16. Sure, Verse 58 bis 60, störte sie, erschien ihr ungehörig und erinnerte sie schmerzlich an den eigenen Vater, der nach Aussage der Mutter sehr bestürzt gewesen sein soll bei ihrer Geburt. Aber dass auch die eigene Mutter bestürzt gewesen sein sollte, schmerzte sie anfänglich noch mehr, verband sie aber als heranwachsende Frau zusehends enger mit ihr: “Sie eignen Allah Töchter zu – fern sei es von ihm – und sich selbst nur solche Kinder, wie sie ihr Herz wünscht. Wird einem von ihnen die Geburt einer Tochter verkündet, dann färbt sich sein Gesicht aus Kummer schwarz (und wird düster), und er ist tief betrübt. Wegen der üblen Kunde, die ihm zugekommen ist, verbirgt er sich vor den Menschen, und er ist im Zweifel, ob er sie zu seiner Schande behalten oder ob er sie nicht im Sande vergraben soll. Ist ein solches Urteil nicht schlecht?“

Im Verlauf ihres Studiums dachte Aischa zunehmend nur noch sporadisch an diese Dinge, dafür aber umso verbissener an diese die Männer bevorzugenden Stellen im Koran, z.B. auch an den immer wieder von islamkritischen und islamfeindlichen Kreisen zitierten Vers 224 der zweiten Sure: „Die Weiber sind euer Acker, geht auf euren Acker, wie und wann ihr wollt, weiht aber Allah zuvor eure Seele (durch Gebet, Almosen oder gutes Werk).“

Zugleich verstärkte sich um so heftiger ihr Zorn und ihre Wut auf die Israeli, die verhassten Herren dieser unselig zerstrittenen Gegend. Das waren in ihren Augen die eigentlichen Feinde und nicht so sehr die eigenen Männer. Und sie bemerkte mit steigendem Wohlgefallen, dass sich ihre Wut auf die israelischen Männer stetig steigerte. Viele der jungen israelische Männer erschienen ihrer Meinung zwar ebenso schön und begehrenswert wie ihre gleichaltrigen Landsleute. Manchmal überkam es sie wie ein plötzliches Fieber, sie bäumte sich auf, auch und gerade gegen die eignen Männer, gegen die sich so furchtbar männlich stark und unbeugsam - nicht zuletzt gegenüber den Frauen - sich gebärdenden jungen Leute und immer wieder gegen die alten und sehr alten Männer in ihrem Umkreis, die sich ohne jedes Bedenken, ohne eine Spur von Zweifel auf den Koran als unzerstörbares, ursprüngliches Fundament des menschlichen Zusammenlebens beriefen oder auch auf Schriften von Saiyid Qutb. Und diese Sonderstellung der Männer, die sie zunehmend störte, deren einseitige Machtstellung war sowohl im privaten Alltag als auch in der Öffentlichkeit für sie mit Händen zu greifen, leider auch an der im übrigen so fortschrittlichen Universität Bir Zeit.

Sie wusste aber auch, dass vor mehr als einem halben Jahrhundert im Zentrum, aber nicht im Herzen von Europa ein gescheiterter Maler, ein verkannter Künstler, ein Mann aus der Unterschicht mit gescheiteltem, dunklem Haar, dunklem Schnauz, ein wortgewaltig-gewalttätiger Politiker und Diktator zum Teil die selben oder ähnliche Worte in den Mund genommen hatte wie sie, als es ihm darum ging, wider Grossbritannien, die USA, die Alliierten ganz allgemein Stimmung zu machen oder unverblümt die Vernichtung der Juden und anderer Schädlinge zu fordern.

“Mein Kampf” war zu Beginn ihres Studiums für sie selbstverständliche Pflichtlektüre gewesen. Sie hatte dieses von vielen heute in Europa und den USA verpönte, berühmt-berüchtigte und heftig angegriffene Buch mehrmals durchgelesen, begieriger als den Koran, wie sie erstaunt und leicht befremdet feststellte. Auf deutsch. Sie hatte diese schwierige Sprache schon als junges Mädchen zu lernen angefangen und durchaus lieb bekommen trotz den Mühen, die das Lesen und Schreiben ihr bereiteten. Sie hatte den inneren Gehalt dieser Kampfschrift in sich aufgesaugt wie ein ausgetrockneter Schwamm, dass Überzeugungen wichtiger seien als die Wahrheit, nein, dass Überzeugungen, echte, aus der Tiefe kommende Überzeugungen das sind, was in der Welt draussen als Wahrheit imponiert. Der Glaube könne Berge versetzen. Diese Bibelstelle war ihr wie viele andere auch ebenso geläufig wie der Koran. Und sie verspürte tatsächlich Lust, Berge zu versetzen. Nicht immer zur Freude ihrer Eltern.

Sie kannte freilich ebenso und vermutlich noch besser, wie schon erwähnt, die Werke von Saiyid Qutb, Urvater der militanten arabischen Islamisten, der unter Gamal Abd an-Nasser am 29. August 1966 zusammen mit zwei anderen Muslimbrüdern durch den Strang hingerichtet worden war. Sie gehörte jedoch nicht dem Islamic Bloc an, war also nicht Mitglied der Hamas oder Jihad.

Sie wollte unter allen Umständen ihre Unabhängigkeit bewahren, eine Stellung also nicht so sehr zwischen als vielmehr über den herkömmlichen Lagern. Dieses eigensinnig taktisch anmutende Verhalten löste bei einigen Kommilitoninnen und Kommilitonen immer wieder Kopfschütteln, Unwillen und Kritik aus, was jedoch nur selten und dann nur halblaut geäussert wurde. Doch nach der nächsten ihrer rabiaten und entsprechend heftig beklatschten Brandreden gegen den Todfeind Israel galt sie wieder als anerkanntes Vorbild, als rhetorisch gewandte, verzaubernde und immer wieder von neuem bewunderte Wortführerin, vor der sich nicht wenige fürchteten, als Gegner zu erscheinen, was sogleich den Vorwurf eingebracht hätte, ein Verräter oder doch wenigstens ein hässlicher Nestbeschmutzer zu sein.

Vorsicht war auch geboten mit der kritisch-zynischen Bemerkung, die Israeli hätten schon längst begonnen, vermehrt und sehr systematisch Land, und bezeichnenderweise möglichst viele Anhöhen an sich zu reissen, indem sie mit zunehmend vergrösserten Staatsbeiträgen weite Teile von Cisjordanien besiedelten: in der Region Nablus oder in Itamar. Das sich abzeichnende Erweiterungsmuster der israelischen Regierung forderte möglichst weit gestreute Niederlassungen für verhältnismässig wenige Familien. Der palästinensische Geograph Tufakji hatte Erhebungen über diese stille, systematische Landnahme gemacht, welche den Palästinensern faktisch verunmöglichen sollte, ein eigener Staat zu werden. Und ein Staat braucht ja nicht nur eine lebendige Wirkkraft, das Volk, ein möglichst engagiertes, dazu eine authentische Regierung, sondern eben auch Land, festen, zuverlässig tragenden Boden.

An diesen festen Boden dachte Aischa selbstverständlich auch, jedoch nicht in erster Linie. Ihr erschien der Elan, der Wille, die Lebendigkeit und die Einigkeit des Volkes der Palästinenser ausschlaggebend, wichtiger als abstrakte Wahrheiten, wichtiger zunächst auch als der Boden.

Merkwürdigerweise dachte sie dabei nie an das klägliche Ende des Verfassers von „Mein Kampf“.

Ahmed, ihr Freund und Kommilitone, ihr Zukünftiger, Ahmed, der Preiswürdige, strömte eine fast weiblich anmutende Milde und Weichheit aus. Er kleidete sich unauffällig, meist Jeans und Hemd. Auf Reisen gediegen westlich elegant, auch ab und zu mit Krawatte, wenn es ihm passend erschien. Er trieb nur mässig Sport, jedenfalls mässiger als die meisten seiner Kommilitonen, mässiger auch als seine Braut. Leichtathletik war sein Gebiet, Kugelstossen seine bevorzugte Disziplin. Selten nahm er an Fussball- oder anderen Mannschaftsspielen teil, meistens als Ersatzmann, wenn seine Mannschaft zu knapp dotiert war, ohne grosse Begeisterung, mehr aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus. Er wollte kein Spielverderber sein.

Schon als kleiner Bub sprach er eher leise und manchmal auffallend undeutlich, so dass die Kollegen, die Lehrer oft zurückfragen mussten. Manchmal liessen sie es bleiben, irritiert, aber gefesselt vom weichen, rundlichen Ausdruck seines Gesichts, von den langsamen Bewegungen seiner Hände und Arme, wollten gar nicht genau wissen, was er gesagt hatte, dachten wohl auch mit einigem Respekt, wenn nicht Ehrfurcht, an die erfolgreichen Geschäfte seines Vaters.

Sein Vater war Kaufmann für elektronische Geräte. Er besass, so wurde getuschelt, Konten in der Schweiz, im Fürstentum Liechtenstein, auf Inseln weit draussen im Ozean, auf Banken, die bekannt und beliebt waren bei vielen ausländischen und leider auch israelischen Kunden. Die politische Sicherheit der Schweiz, ihre bescheidene Korruption, ihr immer noch unbekümmert wohltätiges Bankkundengeheimnis verband sie: all die Wohlhabenden, Reichen und Schönen dieser Welt ohn' Ansehen ihrer religiösen oder politischen Überzeugungen. Geld von Palästinensern und Juden im gleichen Tresor, das war freilich eine Vorstellung, die der Vater von Ahmed sorgsam vermied, worüber er auf alle Fälle mit niemandem sprach. Die Gerüchte, das Geschwätz über sein Vermögen und sein Finanzgebaren konnte er jedoch nicht verhindern.

Die Eltern von Ahmed und die seiner Braut Aischa waren sich einig, dass die beiden noch vor der Jahrtausendwende heiraten würden, spätestens bei der Jahrtausendwende, am liebsten jedoch vorher. Sie verbanden jedoch mit der Jahrhundert-, beziehungsweise Jahrtausendwende keine besonderen verheissungsvollen oder ängstlichen Vorstellungen wie offenbar Tausende in Europa und in den Vereinigten Staaten.

Vor über drei Jahren hatte Aischa mit ihrem Studium angefangen ohne den geringsten Selbstfindungszweifel, und bereitete sich zügig für die Abschlussprüfungen vor. Von ihren Kommilitoninnen, die mit ihr zusammen das Studium angefangen hatten, hatten einige frühzeitig die Uni verlassen. Die meisten um zu heiraten. Sie studierte vom Beginn weg Volkswirtschaft und stand in ständiger, aber lockerer schriftlicher Verbindung mit Studentinnen in Zürich und in Göttingen, mit Europäerinnen also, aber auch mit Christinnen und Atheistinnen und geflüchteten Palästinenserinnen. Sie war überzeugt, dass ein künftiges Palästina nicht bloss starke, unerschrockene und ausdauernde, kampfbereite Männer brauchte, sondern auch tüchtige, aktive, mutige Frauen und eine wirtschaftliche Ordnung, welche das Land vorwärts bringen, allen Bürgern Wohlstand verschaffen sollte, vor allem den armen, in elenden Lagern lebenden Menschen. Es war für sie selbstverständlich, nicht mit irgendwelchen jungen Männern in einen noch so unverfänglichen Briefverkehr zu treten. Das war für sie zu europäisch-westlich. Nur einem schrieb sie, wenn er wieder einmal in Europa oder in den Vereinigten Staaten von Amerika herumreiste: Ahmed, dem Preiswürdigen, ihrem Zukünftigen, der so weich wirkte und so leise sprach, dass man ihn manchmal nicht auf Anhieb verstand und zurückfragen musste.

Aber Aischa verstand ihn, auch wenn er leise und undeutlich sprach. Als Ergänzung zu den häufigen Telefongesprächen schickte sie ihm Briefe, die sich zumeist auf alltägliche Kleinigkeiten bezogen, es sei denn, es hätten sich wieder Überfälle, Todesfälle, Selbstmordkommandos auf jüdische Einrichtungen oder Strafaktionen der Israeli ereignet. Dann berichtete sie ausführlich auch am Telefon über ihre Besuche bei Eltern und Verwandten der zumeist sehr jungen Männer, den Märtyrern für die gerechte palästinensische Sache.

Die Israeli waren zu ihrem Leidwesen und grossen Ärger in den letzten Jahrzehnten immer wieder stark und erfolgreich gewesen, sie bestimmten weitgehend, was zu geschehen hatte im Land ihrer Väter, aber eben nur mit Hilfe der Amerikaner, mit Hilfe der amerikanischen Juden, wie sie von klein auf wusste. Und dann versuchte sie umsomehr, ihre Kommilitonen mitzureissen - wenn diese ihrer Meinung nach erlahmten - , sie zu inspirieren, anzustacheln, aufzuhetzen. Zu viele erschienen ihr so unsäglich passiv, zu stark auf die Pflege der eigenen Männlichkeit und auf die fragwürdigen Annehmlichkeiten des Lebens eines westlich geprägten Lebens ausgerichtet wie die Ostdeutschen: Auto, Fernseher, Computer, Handy, westliche Musik, Musikgeräte, Ferien in fernen Ländern. Sie begrüsste jeden Anschlag auf Ferienorte, wo sich gottlose westliche, christliche Touristen tummelten. Dann zündete sie eine schwarze Kerze an.

Auch auf Ahmed, den Preiswürdigen, fiel in dieser Hinsicht ein leichter Schatten. Sie spürte zunächst manchmal verwundert, manchmal irritiert, dass sie trotz Koran und Alltagsmeinung vieler Männer ihm überlegen war, erschreckend überlegen sogar. Besonders wegen ihres unbeugsamen Willens und reinen Glaubens wusste sie sich überlegen, nicht so sehr wegen ihres Wissens, gemeint als Anhäufung von rasch verfügbaren, verknüpfbaren Daten, und schon gar nicht wegen ihres Geschlechts. Sein Wissen z.B. über die Geschichte der europäischen Staaten war beeindruckend, da übertraf er sie bei weitem. Aber dieses gediegene Fakten-Wissen war ihrer Meinung nach unbrauchbar ausserhalb von Seminarien und Schulen und Redaktionen. Sie schätzte an Männern andere, handfestere, vitalere Qualitäten. Es störte sie, dass ihr Bräutigam im Sport so wenig Ehrgeiz zeigte. Das Kugelstossen, das er selten genug konsequent und ernsthaft ausübte, liess sie kalt wie den Franzosen das Hornussen der Eidgenossen. Denn auch hier, in seiner besten Disziplin, war er einer, der „ferner stiess“. Er war kein Winnertyp, kein Alpha-Tier, das Begeisterung, Staunen auslöste, wo er auftrat. Schon gar nicht Angst.

Sie bewunderte vor allem und immer wieder die todesmutigen, zumeist sehr jungen Männer, die sich mit einer Ladung Sprengstoff am Bauch oder sonstwie bewaffnet, zu Fuss oder in einem geliehenen oder gestohlenen Auto in israelische Städte und Dörfer aufmachten, mit besonderer Vorliebe nach Jerusalem, das ja eigentlich und zuvorderst ein Zentrum islamischer Gläubigkeit war und unbedingt wieder werden sollte. Den einen oder anderen dieser jungen Männer hatte sie gekannt, zwar mehr aus Gesprächen mit Kommilitoninnen der Universität Bir Zeit, die aus weniger begüterten Verhältnissen stammten als sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr zukünftiger Mann, bewaffnet, die Israeli angreifen würde. Das hätte sie jedoch gewünscht, ohne ihm je etwas davon zu sagen oder ihn gar aufzufordern. Andererseits war sie froh darüber, denn Ahmed war ihr trotz allem lieb. Sie wollte ihn nicht verlieren. Sie brauchte ihn. Bei ihm konnte sie zur Ruhe komme, mit ihm zusammen erholte sie sich.

Ihr Vater war Besitzer von einigen gut frequentierten Lebensmittel- und Teppichgeschäften. Ihm ging es gut, besser vermutlich, als er in seinem alltäglichen Gehaben und Aufzug zeigte. Und er hatte vermutlich noch ganz andere Geldquellen, über die er jedoch mit seinen nächsten Angehörigen und Freunden nicht sprach, schon gar nicht mit seiner Frau. Man munkelte von Waffengeschäften, woran sich auch schweizer, französische, deutsche, ägyptische, russische und chinesische Händler beteiligen. Als Transporteure für diese gefährlichen und lukrativen Frachten wirkten meist Italiener und Albaner, welche hier ihre draufgängerischen Fähigkeiten ausleben und zu Geld machen konnten.
Israeli fanden nur selten den Weg dorthin, in die Teppichläden ihres Vaters vor allem, und Aischas Vater war dann besonders guter Laune, mehr als bei jedem noch so verwegenen Waffengeschäft, wenn er ein schönes Stück zu einem übersetzten Preis hatte verkaufen können. Er fühlte sich darin mit den Israeli verwandt, was er unumwunden anerkannte und dass persönliche Vorlieben, dass Liebhabereien ihren Preis hätten , den man bedenkenlos zu zahlen bereit ist. Aber die Israeli erwiesen sich immer wieder als gewiefte Kunden, als Partner von verwandtem Schlag, denen man nicht so ohne weiteres etwas andrehen konnte wie zum Beispiel vielen amerikanischen, europäischen, besonders deutschen oder schweizer Touristen.

Die palästinensischen Märtyrer, diese jungen, gläubigen, und hasserfüllten Männer und Jugendlichen kamen nicht nur aus ärmlichen Verhältnissen, aus den erbarmungswürdigen Lagern. Aischa brachte jeweils den Eltern von getöteten Freiheitskämpfern, von den Israelis und Amerikanern als Terroristen bezeichnet, Blumen und kleine Geschenke, z.B. einen schönen, alten Gebetsteppich aus einem der Läden ihres Vaters. Sie fand auf selbstverständliche, wundersam anmutende Art und Weise jeweils auch die richtigen Gesten und Worte, stockend manchmal, mit Pausen, verfiel ohne zu überlegen und ohne zu zögern in den passenden ernsten, anerkennenden Tonfall, sprach Worte, die tröstlich wirkten und vor allem aber die Eltern und Verwandten dieser fanatischen Freiheitskämpfer mit Stolz und neuer Wut erfüllten.

Daran war ihr vor allem gelegen. Auf das Anfachen der inneren Glut der Todesbereitschaft für etwa Grosses: für die Vernichtung von Israel eher als für die faktische, bodenständige Gründung des Palästinenserstaates basierend auf der Ausrufung Palästinas am 15. November 1988 in Algier durch den Palästinensischen Nationalrat. Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt. Das hiess für sie vor allem die Vernichtung oder doch mindestens Zurechtstutzung des arroganten und immer wieder doch so erfolgreichen Israel. Manchmal fühlte sie zu ihrem Erstaunen und nachfolgendem Ärger fast so etwas wie Bewunderung für Israel und seine erfolgreichen Soldaten und Soldatinnen.

Aischa wollte durchaus einmal eine eigene Familie, dachte in ruhigen Augenblicken an eigene Kinder. Sie würde ihre Kinder zu starken Gläubigen erziehen. Und dieser Wunsch erzeugte in ihr Bilder von unbeschreiblicher Glückseligkeit. Ihr schauderte beim Gedanken, dass einer ihrer Söhne bei einem Angriff auf Israel umkommen sollte.

Ihr zukünftiger Mann sollte sie wegen ihres gläubigen, lauteren Charakters lieben, aber doch auch wegen ihres Gesichtes. Als Mutter von starken Söhnen, die um Palästinas willen Heldentaten zu vollbringen gierig sein würden.

Während langen Stunden in der Institutsbibliothek sann sie über diese Dinge nach, phantasierte davon, dass ihr unbekannte Frauen, im traditionellen Hidschab von weither herbeigeeilt, mit Blumen und allerhand Süssigkeiten trösten wollten.

Lästigen Kummer bereitete ihr immer wieder ihre Haut. Sie träumte davon, eine feine, helle, weisse Haut zu besitzen. Es störte sie, dass ihre Hautfarbe nicht hell war sondern hellbraun wie Milchschokolade. Sie schämte sich dann ihrer Träume und Phantasien, wurde ärgerlich, wütend über sich selbst, über das offenbar Unbeherrschte in ihrem Wesen. Sie empfand sich dann als Verräterin, als eine schwächliche Frau, die nicht in der Lage war, ungebrochen zu ihrer Sache, zu ihrem innern Auftrag und zu ihrem Aussehen zu stehen.

Als kleines Mädchen, bevor sie in die Schule eintrat, so erinnerte sie sich, weil wohl ihre Mutter wiederholt nachsichtig lächelnd davon berichtete, hatte sie mit Mehl, mit Salben und mit Reiben versucht, ihre Haut hell und rein zu bekommen. Gut war das Gefühl, zur “umma” zu gehören, zur grossen Gemeinschaft der Gläubigen, zur Gemeinschaft von hellem Licht, von weisser Schönheit. Und mit Ekelgefühlen, manchmal auch mit Mitleid, das hie und da in Zorn umschlagen konnte, blickte sie auf die Frauen im Westens, die sich so fortschrittlich wähnten, so emanzipiert, auf diese Christinnen und andern Gottlosen, auf diese schlampigen, von der Sonne braungebrannten Wesen, auf diese schamlosen Weiber, die mit lässig gespreizten Beinen und kurzen Röckchen oder sehr kurzen und meist engen Höschen in Cafés und Restaurants, in berühmten Bädern und Stränden am Meer herumsassen oder lagen, in all den elenden Orten des Westens, an Stränden, auf Mauern, auf Treppen, in Bahnhöfen.

Da war der Bauchtanz, den sie wie viele Mädchen in ihrem Umkreis einige Zeit geübt hatte, doch etwas anderes, etwas Spirituelles. Diese christlichen westlichen Frauen, keine eigentlichen Frauen, sondern degenerierte Unwesen ohne eigentliche Weiblichkeit im geistigen Sinn, so ihre Überzeugung, waren offenbar auch fähig, den Männern zur Unzeit ans Gemächt zu greifen, in aller Öffentlichkeit, und nicht nur im geschützten Privatbereich.

Auf dem Platzspitz in Zürich und im Untergrund des dortigen Hauptbahnhofes hatte sie Unglaubliches, Schreckliches mitansehen müssen. Sie wusste nicht, träumte sie oder war das nun die unverstellte westliche Wirklichkeit, wie sie gerne von den palästinensischen Männern dargestellt wurde. Es war die Wirklichkeit: eine junge Frau mit blau gefärbten kurz geschnittenen Haaren, ein Mädchen noch, im langen, dunkelfarbigen, schlabberigen Rock und schwarzem, ärmellosen Leibchen, dieses Mädchen liess sich am helllichten Tag in einem Randbereich dieses grossen und im übrigen erfreulich sauberen Bahnhofs leicht vornüber gebeugt in die Knie, und dies ohne Hast, als wäre es das Gewöhnlichste auf der Welt, und verrichtete mitten unter den Vorübereilenden ihre Notdurft, nicht weit vom Eingang einer Gaststätte, wo Pizzas und Kepab angeboten wurde. Kein Blitzschlag erfolgte, kein Donnergrollen, kein Meteor aus heiterem Himmel, kein einziger Mensch, der sich aufgeregt, ja bloss umgedreht hätte, niemand griff ein, kein Mensch, kein einziger Passant, keine Passantin, keine Polizei und keine Sicherheitsleute. Und die junge Frau fiel nicht tot um, sie wurde nicht von einem strafenden Strahl getroffen sondern erhob sich in aller Ruhe, rückte kurz ihren schlabberige KLeidung zurecht und verschwand unbemerkt in der bunt geschäftigen Menge.

Auch im Internet ereignete sich Unglaubliches, Skandalöses, ohne dass jemand eingriff, wo abscheuliche Dinge zwischen Männern und Frauen, noch ekelhafter zwischen Frauen und zwischen Männern oder gar mit minderjährigen Kindern, Säuglingen, öffentlich zugänglich waren, schonungslos gezeigte sexuelle Handlungen von abwegig gröbster Art. Freunde in Paris hatten sie fast beiläufig auf diesen Reichtum des Internets hingewiesen, eher gelangweilt, wie ihr schien, oder gar leicht belustigt. Ihr war beinahe übel geworden. Fast hätte sie sich übergeben. Sie selber vermied es für alle Zeiten, die entsprechenden bedenklichen Adressen anzuklicken.

Und auch anderswo, nicht nur in Zürich, es war in einem Kino in Paris, in welcher Stadt sie sich unlängst über die Ostertage aufgehalten hatte, erlebte sie schreckliche Augenblicke, die sie noch in manchen der folgenden Nächte verfolgten. Da liess sich doch eine nicht mehr ganz junge Frau mit vielen Falten am Hals in der Reihe vor ihr in der Pause vor Beginn des Hauptfilmes bei schummrigem Licht von ihrem bedeutend jünger als sie aussehenden Begleiter unter den kurzen Rock zwischen die Beine greifen. Aischa war zu Tode erschrocken, glaubte zunächst zu träumen oder zu halluzinieren wie im Shopville des Hauptbahnhofs in der lieblichen Stadt am See, dann schämte sie sich grenzenlos, Zorn stieg in ihr auf, der sich in der fremden Umgebung jedoch nicht entladen konnte. Sie schämte sich um dieser ihr unbekannten Frau willen. Dieses Mal war sie jedoch – Allah sei gelobt! - handlungsfähig. Sie stand auf und verliess Hals über Kopf den Kinosaal, trat dabei unwillkürlich rücksichtslos Zuschauerinnen und Zuschauern mit einiger Heftigkeit auf die Füsse, wurde auch selbst von einem wütenden Mann mit schwarzem Dreitagebart und offenem schwarzen Hemd auf wüste Weise hart in die linke Wade getreten, als Nutte beschimpft, dann in den Rücken gestossen, dass sie erschreckt zusammenfuhr und am liebsten zurückgeschlagen hätte, noch lieber zurückgeschossen. Aber sie hatte leider ihren zierlichen Revolver im Hotelzimmer nahe der Place de la Bastille versehentlich liegen lassen.

Ahmed war im vergangenen Winter nach Arosa im Kanton Graubünden gereist, nachdem er zufällig von einem muslimischen Kommilitonen an Marburg/Lahn, der an der Universität Erlangen eine Assistenz anstrebte, einen interessanten Hinweis erhalten hatte: in Arosa in der Schweiz, auf 1800 Meter über Meer, gebe es ein Isla, ein Isala oder ein Isalam. Das müsse er unbedingt sehen, dieses Isala oder Isla, war Ahmed fest entschlossen. Aischa und seine Eltern sollten einige Tage später nachkommen, um anschliessend gemeinsam einige unbeschwerte Tage an diesem berühmten paradisischen Ferienort zu verbringen, einem idyllischen Ort angeblich, wo Ruhe und Friede herrschten.
Ahmed fragte sich zunächst, ob dieses Isla oder Isala vielleicht doch etwas zu tun haben könnte mit der Islah-Partei in Jemen, welche entschieden die Auffassung verficht, dass es die primäre Aufgabe der Frau sei, im Unterschied zum Mann, sich mit Familie und Heim zu beschäftigen..

Diese spielerisch beiläufige Mitteilung, diese Nennung von Isla, Isala oder Islah hatte Ahmed jedenfalls auf seltsame Weise erregt. Er musste unbedingt Genaueres erfahren.

Auf Deutsch bedeutet das italienische Wort Isola ganz einfach Insel, und Isla war vielleicht eine Abkürzung oder gar das entsprechende Wort auf rätoromanisch. In oder in der Nähe von Arosa, im Kanton Graubünden, in der Schweiz müsse das besagte Isla liegen, eine Insel inmitten der Friedensinsel Schweiz, Heimat auch des sagenhaften Bankgeheimnisses, Ursprung und Hauptquartier des Roten Kreuzes, im Kanton Graubünden, wahrscheinlich nicht weit weg von St. Moritz, wo sich die Reichen und Schönen aus aller Welt treffen, aus Europa vor allem, den Vereinigten Staaten, Südamerika, Japan, Araber und Juden auch, aber vermutlich keine Palästinenser, auch Russen, Chinesen, Australier und natürlich in vorderster Front begüterte Schweizer, wovon es offenbar eine beträchtliche Menge gebe. Der Schah von Persien hätte dort, in diesem mondänen St. Moritz ein ansehnliches Haus besessen, dieser verwestlichte, amerikanisierte, materialistisch dekadente Politiker und Staatschef aus dem Iran, der den gesunden Boden des muslimischen Glaubens verlassen habe, um angeblich sein Land, und dies vor allem mit Hilfe der USA, zu modernisieren.

Nach Marburg/Lahn im Hessenland war Ahmed vom Islam-Institut der Philipps-Universität durch Vermittlung der Universität Bir Zeit eingeladen worden, der 1527 vom Landgrafen Philipp dem Grossmütigen gegründeten ersten protestantischen Universität in Deutschland, wo 1529 auf dem landgräflichen Schloss zwei europäische, christliche Glaubensstreiter und -helden, zwei führende Reformatoren zum Gespräch zugereist waren und keine Einigung erzielten zur damals so wichtigen Frage des Abendmahles. Luther blieb beim „Das ist mein Leib“, Zwingli hingegen beim „Dies bedeutet mein Leib“. Da konnten auch die anwesenden Melanchthon, Oekolampad und Bucer nichts ändern. Und Ahmed wusste aus den Büchern seines Instituts, dass Huldrych Zwingli, der Reformator aus Zürich, nicht nur mit dem Bibelwort gefochten, sondern ebenso das Schwert zu schwingen wusste, ist er schliesslich doch durch das Schwert umgekommen wie ein Held, ein Märtyrer seines Glaubens, im Herbst des Jahres 1531 bei Kappel im Säuliamt.

Die jungen palästinensischen Männer kämpften doch auch mit ihrem Heiligen Buch, mit dem Koran. Ihr Schwert ist heute hochwertiger Sprengstoff, Granaten, Äxte, Messer, Maschinengewehre, vielleicht bald einmal sehr gefährliche Schadstoffe, Gifte, chemische, biologische oder gar atomare Waffen.

Marburg hatte ihm sehr gut gefallen, die steilen Gassen mit dem gepflegten Kopfsteinpflaster, die vielen prächtigen Riegelbauten, von den Deutschen Fachwerkbauten genannt, das Uhrspielwerk am Rathaus, das ihn an den Zytglogge -Turm in Berns Altstadt erinnerte. Ihn störte jedoch die Darstellung der Justitia mit verbundenen Augen, deren Waage sich jede Stunde auf die andere Seite neigt. Justitia als Frau, nein, das war sein Ding nicht. Zur Justiz würde viel eher ein Mann passen mit offenem Visier. Cäsar, Napoleon und Alexander der Grosse passten besser in sein Weltbild. Das Leben des letzteren hatte ihn neben der zentraleuropäischen Geschichte sehr beschäftigt. Er soll der Sage nach den Knoten, der dem, der ihn lösen könne, die Herrschaft über Asien versprach, mit dem Schwert zerhauen haben.

Ahmed und seine Braut träumten, hofften auf einen Alexander der Palästinenser, anders als Yassir Arafat, dieser eitle Lavierer. Ahmed hatte seine Braut schon spasseshalber Alexandra gerufen, und sie hatte sich das gefallen lassen und die seltsame Weichheit von Ahmed vergessen lassen. Aber sie sagte ihm nicht, dass sie lieber Phyllis gerufen worden wäre. Und dies nicht nur wegen des Wohlklanges des Namens.

Am Schlosssteig in Marburg an der Lahn machte ihn sein Freund unnötigerweise, wie er fand, darauf aufmerksam, dass diese Strasse vor der Nazizeit Judengasse geheissen und an einer Synagoge aus dem 13. Jahrhundert vorbeigeführt hätte, deren Fundamente man in nächster Zukunft vollständig ausgraben werde, weil Geld und Geist dies nun endlich zuliessen. Er hatte auch die frühgotische, zweitürmige Elisabethenkirche besucht, hatte den goldenen Schrein der Heiligen Elisabeth betrachtet wie irgendein Kunstwerk in irgendeinem westlichen Museum, auch die schmucklosen Sarkophage der Hindenburgs, 1946 herbeigeschafft, und das von den Touristen aus aller Welt aufgesuchte Kruzifix von Ernst Barlach, entworfen 1917 für Kriegsgräber im Osten, noch vor der Machtergreifung Hitlers hierhergebracht, 1933 als entartete Kunst eingestuft und auf einem Dachboden versteckt gehalten bis nach dem Untergang des Dritten Reiches.

Sein Marburger Freund ereiferte sich sehr für die 11. Tagung der Friedenspsychologie an der hiesigen ehrwürdigen Universität mit dem Schwerpunktthema „Menschenrechte und Frieden“. Er hatte mit dem organisierenden Professor Gert S. Kontakt aufgenommen, aber leider war nichts daraus geworden, weil er kurz vor Eröffnung der Tagung nach Hause eilen musste. Israelische Soldaten hatten angeblich einen seiner Vettern mitten in der Altstadt von Jerusalem kurzerhand niedergeschossen und tödlich getroffen. Später stellte sich heraus, dass er bloss verletzt und von den Israeli gefangen genommen worden war.

Ahmed hatte sich kurz vor der überstürzten Heimreise voll Neugier und Beharrlichkeit in einer Buchhandlung in der putzig-mittelalterlichen Altstadt von Marburg eine Landkarte des Kantons Graubündens beschaffen können. Er hatte schon vor Monaten beschlossen, Freunde seines Vaters in Bern zu besuchen, und die sollten ihn bei der Suche nach Isla behilflich sein, denn er hatte trotz eifrigem Suchen mit der Lupe die Stelle mit der Bezeichnung Isla oder Islam nicht finden können. Er fragte herum, telefonierte, schrieb Briefe, stiess immer wieder auf Unverständnis, fühlte sich zu Unrecht belächelt, war er doch gewohnt, dass er oft belächelt wurde von seinen Kommilitonen, aber auch immer wieder von Aischa, seiner Braut. Schliesslich versuchte er es beim telefonischen Auskunftsdienst in der Schweiz und bezahlte dafür eine Unsumme. Leider auch dies ohne Erfolg. Das wunderte die Freunde seines Vaters in Bern nicht, denen er später von seinen ergebnislosen Bemühungen erzählte.

So schrieb er denn kurzerhand an den Verkehrsverein von Arosa, und der schickte ihm noch rechtzeitig vor seiner Weiterreise nach Bern den genauen Plan des Ortes zusammen mit reichhaltigen Angaben über die touristischen Möglichkeiten im Winter und vor allem auch im Sommer, denn in dieser Jahreszeit kamen offensichtlich weniger Touristen in diese hochgelegene Dorf. Alle Informationen auf Englisch, Französisch, Italienisch, Deutsch und Rätoromanisch. Molkenkuren wurden da angeboten, Wochen der vollständigen Gesundung auf über 1800 Metern über Meer in einem Vierstern-Hotel mit der berühmten Biber-Bar, Hallenbad, kurz und gut fröhlicher Luxus in den Bergen, Yoga-Wochen, Alpseminarien, in Wort und Bild angepriesen, dazu abenteuerliche Dinge wie Hängegleiten, Canyoning, Riverrafting, Fallschirmspringen. Man konnte sich aber auch gegen teures Geld für Fastenkuren anmelden bei einem ausgewiesenen einheimischen Mediziner, der noch in einem Alter aktiv sei, wo andere schon längst das sanftere und gemütlichere Leben eines Pensionierten geniessen würden. Seit Jahren finden an diesem rührigen Ort auch Musikkurswochen statt, die sich sowohl an Laien, Studenten als auch an Berufsmusiker richteten. Angeboten wurden aber auch Interpretationskurse für verschiedene Streich-, Blas-, Tasten- und Percussionsinstrumente. Zugleich wurden Windhundrennen angesagt, Ballonfahrten und - er musste zweimal hinsehen - Lach-Wochen: Tage, die dem Humor gewidmet waren. Da war schliesslich auch der unübersehbare Hinweis auf ein Lachseminar, das man ergänzend später in Lachen, einem kleinen Ort am Zürichsee, belegen konnte. Es gab tatsächlich Lach-Wochen in der Schweiz und ein Lachen, ein Ort mit diesem Namen am Zürichsee. Wirklich zum Lachen. In Lachen. Und das alles in der Schweiz, wo das Leben von vielen offenbar oft so ernst - zu ernst - genommen würde.

Da gab es also wirklich ein Isla oder Isalah hier in der Schweiz, im Kanton Graubünden, dem grössten Kanton in der Schweiz. Ahmed musste lächeln. Er schüttelte den Kopf, als er in den Anpreisungen des Lachsemniars weiterlas, das Kleingedruckte nämlich, die hohen Preise, und er wunderte sich noch mehr über die Tatsache, dass offenbar vor allem Manager ins Visier genommen wurden, Spitzenleute aus Wirtschaft und Politik, Akademiker, Lehrpersonen zwar auch, Leute, die in kommunikativen Berufen tätig sind, da hatte er ein gewisses Verständnis, aber nicht Leute aus dem Volk, aus den wenig begüterten Schichten, alleinerziehende Frauen, arbeitslose Jugendliche, Drogenabhängige, die nichts oder doch weniger zu lachen hatten als die meisten andern, denen es wirtschaftlich gut ging. Aber hatte er nicht unlängst in einer amerikanischen Zeitung gelesen, dass sich in der Schweiz erneut ein Bankdirektor erhängte habe, der an der Börse unglücklich spekuliert hatte? Spekuliert mit Kundengeldern, mit dem Vermögen vielleicht von Palästinensern und von Juden.

Und er staunte immer wieder über die kühnen Preise in Schweizer Franken und über die lange Dauer der sogenannten Hochsaison.

Die Schweiz ist halt ein reiches Land, das sich nicht einfach mit den Schönheiten und dem Reichtum der Natur zufrieden gegeben hat, fand er leicht verwirrt, ein Land voller Hotels, Banken, Versicherungsgesellschaften, Casinos, chemischer Fabriken, Uhrenfabriken, Schokoladefabriken, also auch voll von kleinen und grossen Managern, denen, es ist zum Weinen, Lach-Wochen und Lach-Seminarien angeboten wurden, ein kleines Land, eifrig besucht nicht nur von Europäern aus der Nachbarschaft sondern auch von erfolgreichen und entsprechend unverschämt protzenden Russen, ansspruchsvollen Arabern, Südamerikanern und Juden. Ein Paradies? Ein Paradies auf dieser sonst so unruhigen, gefährlichen Welt? Und ein Apparthotel mit diesem Namen existierte tatsächlich dort, in jenem berühmten Berg- und Kurort, ausgerüstet mit eigenem Hallenbad und nummerierten Parkplätzen im Freien.

Bei seinen ausgiebigen Nachforschungen war ihm aufgefallen, dass nicht wenige Hotels und Pensionen in der Schweiz den Namen Paradies und Eden trugen. In diesem Arosa gab‘s tatsächlich auch noch ein Hotel Eden, ein Viersternehotel, ein mächtiger, langweiliger Kubus von Hotel, nahe dem Dorfzentrum, das sich als jung und aufgeschlossen aufgemotzt hat, nicht weit vom „Paradies“ entfernt, getrennt durch das neue Eisstadion und einige Wohnhäuser.

Mehr Fremde als Einheimische, das war Ahmed nicht ganz geheuer, das war so ganz anders als bei ihm zu Hause. „Fremde Reiche machen die Sache gewöhnlich nicht besser“, sagte er sich.

Er selbst zählte sich nicht zu den Reichen, obwohl er sich mehr leisten konnte als einige Ferientage in Europa. Und welcher Reiche zählt sich schon zu den Reichen? Auch darüber machte er sich keine Gedanken.

Entscheidend war für ihn: er hatte den gesuchten Ort auf dem beigelegten gefalteten Plan endlich gefunden, hatte ihn rot eingerahmt und mit einem Sternchen versehen. Und dies alles ohne die Hilfe von Aischa.

Isla war offenbar reizvoller im Winter, nicht zuletzt auch wegen des Schnees, dessen scharfes Weiss ihn zum ersten Mal verblüfft und entzückt hatte, als vor Jahren in Amman, als er noch ein kleiner Junge war, Schnee gefallen war.

Seine Eltern und Aischa freuten sich auf einige Ferientage in diesem mondänen oder halbmondänen Wintersportort in der schönen, friedlich neutralen und ach so wohlhabenden Schweiz.

Und da las er im aktuellen Wochenprogramm, dass jeweils am Freitagabend eine fröhlich ernsthafte Weindegustation stattfinde.

Doch Ahmed lebte seit je ohne Alkohol und genoss hier in Europa und in den Staaten lieber den unerhörten Luxus, aus verschiedenen Mineralwassern auszuwählen. Er bestellte jeweils aufs Geratewohl einmal mit und einmal ohne Gas, einmal ein französiches, dann ein deutsches und schliesslich auch ein schweizer Mineralwasser. Bei ihm zu Hause, so bemängelte er schmerzlich, mangelte es immer wieder am ganz gewöhnlichen, alltäglich benötigten Wasser.

Und dieser blendend weisse Schnee unter blauem, wolkenlosem Himmel. Winter in Arosa. Hier konnte man, wenn auch leider nur für kurze Zeit, den Streit mit Israel vergessen, aber auch die Leiden des palästinensischen Volkes.

“Einmal mehr gibt’s einen Grund, sich zu erinnern“ kam ihm der Slogan des „American Jewish World Service“ in New York in den Sinn, kreiert wohl im Gedächtnis an die fabelhaften Zahlungen der grossen Schweizer Banken an die Holocaust-Opfer und vor allem an deren Nachkommen. „Wir werden uns später auch erinnern, an die Untaten der Israeli gegenüber dem palästinensischen Volk“, so dachte er bei sich, „nein, wir erinnern uns jetzt schon jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. Wir wollen nichts als Gerechtigkeit“, so Ahmed. „Aber wir haben leider keine so starken Freunde wie die Israeli.“

Wenigstens sind die Leute hier im Winter alle anständig angezogen, keine frivolen Entblössungen der Frauen in der Öffentlichkeit, dafür fantastische Skianzüge, sehr lange Mäntel, kostbare Pelze, Mützen und Hüte, Handschuhe in allen Farben und Musterungen, dunkle Sonnenbrillen, manche von metallischem Glanz. Mit diesen konnte man den Frauen und Mädchen unbehelligt ins Gesicht sehen. Manche trugen die schützende Brille sogar im Restaurant, im Café oder an der Bar, in den Geschäften, auch in der Kirche.

Und Juden gab es hier, Allah sei es geklagt, Juden, die ungezwungen herumspazierten, meistens in kleinen Gruppen, selten in grösseren Verbänden und sehr selten allein, die Frauen in langen Röcken, die Männer in ihren dunklen Anzügen, manche mit seitlich abfallenden Haarlocken und schwarzen bockigen Hüten oder Kipas.

Ein Freund von Ahmed, dessen Vater Botschafter eines arabischen Staates in Bern war, hatte ihn, wie schon erwähnt, erst eigentlich neugierig auf die Schweiz gemacht. Er wollte ihm Arosa zeigen. Ahmed war jedoch vor allem neugierig zu erfahren, was es mit diesem Isla auf sich habe, mit diesem Islam, Isla oder Isalam. Der Freund hatte sich rasch vom Eifer Ahmeds anstecken lasse, wollte seinem palästinensischen Gast etwas bieten, aber durchaus auch auf die eigene Rechnung kommen.

Erste Woche Januar. Es hatte seit Mitte Dezember wiederholt geschneit, und es war empfindlich kalt, sternklar die Nächte. Ahmed hatte mit seiner Braut und mit seinen Eltern abgemacht, allein eine Woche vorauszufahren, und zwar zunächst erneut nach Marburg/Lahn und von dort aus nach Frankfurt, Basel und nach Bern. Die Zimmer hatte er ohne Probleme im Hotel ORELLI reserviert: zwei Einzel- und ein Doppelzimmer, ein zusätzliches Zimmer für seinen Berner Freund, der ihm bei der Suche nach diesem Isla behilflich gewesen war. Die Preise waren gehörig, aber bei weitem nicht die höchsten am Ort. Die übrigen Hotel angeblich schon seit Tagen ausgebucht.

Dass vor allem Juden das ORELLI bevorzugten, das war ihm entgangen. Niemand hatte ihm das gesagt. Das merkte er erst, als er an der Rezeption aufgefordert wurde, ein hier übliches Formular auszufüllen. Merkwürdig, dass er es dann unterliess, sich vorzustellen, was seine Eltern und vor allem Aischa zu seiner Wahl des Hotels sagen würden.

Beim Aussteigen im Hauptbahnhof in Bern hatte er schon nach wenigen Schritten zu schlottern begonnen. Er war diese europäische Kälte nicht gewohnt, obwohl er schon mehr als einmal erlebt hatte, wie kalt es in Europa im Winter sein konnte. Nun musste er wohl oder übel wärmere Kleider kaufen, jetzt schon, nicht erst in Arosa, vor allem einen praktischen Mantel, gefütterte Handschuhe, vielleicht auch einen Ohrenschutz. Munter schlotternd spazierte er sogleich in die Altstadt, durch ihm endlos erscheinende Schluchten, Lauben genannt, vorbei an sich drängelnden, warm und bunt angezogenen Leuten, kunterbunt wie an einem Jahrmarkt. Das Geläute des Zytglockenturms. Er blieb kurz stehen. Sprachen aus alle Welt. Araber, Juden. Russen. Chinesen.

Ihm war gesagt worden, dass er nicht zum LOEB gehen sollte, das Warenhaus würde einem Juden gehören. In einem vornehmen Kleidergeschäft, nicht weit weg vom Hauptbahnhof, hatte er sich nicht wohl gefühlt, leider zu spät erfahren, dass es gleichfalls einem Juden gehörte. Die Verkäuferin in äusserst kurzem, schwarzledernem Jupe, weisser Bluse und auf unglaublich hohen Absätzen schien ihn mit ihren Blicken zu durchbohren. Er fühlte sich auf ungewohnte und aufdringliche Art beobachtet und kontrolliert.

Dieses schreckliche Gefühl hatte er übrigens stets, wenn er in Europa unterwegs war, auf den Flughäfen, in den Hotels, auf Plätzen und Strassen. Er glaubte sich immer irgendwie umstellt, beobachtet, kontrolliert.

So fuhr er erschreckt zusammen, als die Verkäuferin unerwartet in seine Umkleidekabine trat und weitere Skianzüge zur Anprobe herbeischaffte. So hatte ihn bisher nicht einmal Aischa gesehen, in diesem Aufzug, ungeschützt. Er kam sich merkwürdig schwach und ehrlos vor in seinen fast knielangen, weissen Unterhosen und in den schwarzen, eng anliegenden Socken. Dabei schlenkerte sie auf eine ganz besondere Art den Kopf, dass die langen, blonden Haare geschmeidig hin und her flatterten, wie er es Tags zuvor am Fernsehen im Hause seines Kollegen zufällig gesehen hatte - mit dem Blick und der Aufmerksamkeit eines Ethnologen – , und zwar in einem Werbeblock, in welchem für ein Haarwaschmittel geworben wurde. Und nun füllte sich der Raum der Umkleidekabine mit dem Duft eines starken Parfüms, das ihn an Paris erinnerte, wenn er jeweils bei seinen Fahrten mit der Metro im Pariser Untergrund an Toiletten vorbeikam, sich voranschieben liess in den unabsehbaren Menschenmassen mit Leuten aus aller Welt, auch Juden in ihren auffälligen, dunklen Gewandungen, schwarzen, gockelhaften Hüten und wippenden Haarlocken.

Auch dort hätte man Juden umbringen können, ohne dass es jemand bemerkt hätte, ohne erwischt zu werden. Das ging ihm einfach so durch den Kopf. Aber er verfolgte den Gedanken nicht weiter.

Der Gedanke machte ihm jedoch Spass, aber eben nur das Gedankenspiel. Er hätte nie im Leben all die unvermeidlichen handfesten Vorbereitungen getroffen, die für einen Anschlag nötig gewesen wären. Er hatte Respekt vor Waffen, er hatte recht eigentlich Angst davor, obwohl er ständig einen Revolver bei sich trug ebenso wie seine Braut, wie viele Palästinenser übrigens, ungeladen, fast immer ungeladen, und zwei handliche Messer, Schweizer Militärmesser, praktisch zu verstauen, eines rot, das andere weiss. Es gab auch schwarze, das wusste er. So eines würde er vielleicht in Arosa kaufen. Als Andenken. Schweizer Militärmesser konnte man ja überall auf der Welt erwerben wie die Swatch, die Rolex, die Lindt-Schokolade. Selbst in seiner Heimat. Überall auf der Welt. Aber nicht überall zum selben Preis.

Haben Sie vielleicht ein Wäschestück von Ihrer Freundin, ungewaschen, etwas, das sie unlängst auf dem Körper getragen hat? fragt der Dorfpolizist, der auch ein leidenschaftlicher Jäger und fürsorglicher Vater ist. Das würde uns helfen bei der Suche mit unseren Lawinenhunden. Ahmed zuckt zusammen. Nach dem schrecklichen Zwischenfall gestern im Hotel hat er Aischa nicht mehr gesehen. Und er hat Hemmungen zu sagen, dass er stets ungewaschene Wäsche von Aischa bei sich trage, an ihr rieche, wenn er seine Braut vermisse oder wenn ihm langweilig sei.

Was war geschehen? Aischa und die Eltern von Ahmed waren, wie verabredet, am vorangegangenen Abend bei einbrechender Dunkelheit mit der Bahn in Arosa eingetroffen, hatten ein Taxi bestiegen, das sie zum Hotel brachte. Ahmed an der Rezeption wartete, freudig erregt, mit den beiden Zimmerschlüsseln in der Hand spielend: die Nummer 41 für die Eltern und die Nummer 40 für seine Aischa. Sie und seine Eltern gingen auf ihn zu, leicht verunsichert, wie es schien, sahen einige Gäste herumstehen oder vorübergehen, Juden offenbar, in dunklen Kleider, wippende Haarlocken, die Kipas, blickten auf die Schlüsssel in Ahmmeds Hand, fragten schliesslich erregt, was dies alles zu bedeuten habe, dieser höllische Ort, diese Menschen hier, diese verdammten Juden, diese merkwürdigen Schlüssel, nein, diese Schlüssel mit den merkwürdigen Nummern.

Noch bevor Ahmed sich erklären kann, macht Aischa ruckartig rechtsum kehrt, rennt heftig schreiend hastig die Treppe hinunter zum Ausgang des Hotels. Ahmed erschrocken, rennt ihr nach, an einem korpulenten Juden mit Kipa vorbei, rutscht auf der untersten Stufe aus, stürzt vornüber, rappelt sich auf und versucht leicht hinkend der fliehenden Aischa zu folgen. Vor dem Hotel Blick nach links. Keine Aischa. Blick nach rechts. Keine Aischa. Leichter Schneefall. Leute, die gemütlich am Haus vorbeispazieren. Kinder auf Schlitten. Ein Hund, ein schwarzer Riesenchnauzer, erinnert ihn an den zackigen Zoll der DDR. Er mag nicht daran denken, rennt nach links die Strasse bergaufwärts. Sein Atem. Sein Herz. Dieses Klopfen. Keine Aischa. Schwer keuchend und niedergeschlagen kommt er zurück, hält kurz an, rennt hinkend und keuchend nach rechts die Strasse hinunter zum Bahnhof. Keine Aischa in Sicht. Es schneit. Er sieht die glitzernden Flocken nicht. Nur wenige Menschen unterwegs, fremde vermummte Gestalten. Ab und zu ein Auto, das mit zu hellen Scheinwerfern blendet, dann ein Schlitten, von einem Pferdepaar gezogen. Die Glöckchen. Ausgelassenes Gelächter. Die Leute winken. Ahmed starrt geradeaus, stürmt weiter trotz der Schmerzen im rechten Bein, hält an, rennt weiter. Stechen in der Seite. Stechen auch in der Brust.

Zurück zum Hotel. Aufgeregt laute Besprechung in der Rezeption mit seinen Eltern, die ratlos dreinblicken. Allgemeine Verwirrung. Ahmed wendet sich erneut an die Rezeption auf Arabisch, dann, weil keine rasche Antwort, auf Englisch. Der avisierte Hoteldirektor eilt aufgeregt herbei, versucht dem Rezeptionisten hilfreich beizustehen, die Gäste des Hauses sollen sich nicht beklagen, nur keine Aufregung, so was ist hier noch nie vorgekommen, bietet zu trinken an: Kaffee, Tee oder ein Mineral? Mit oder ohne? Ahmed und seine Eltern reagieren nicht, wirken wie erstarrt, beschliessen nach einigem Hin und Her, sich bei der erneuten Suche nach Aischa aufzuteilen. Ahmed auf die linke Seite, die Eltern auf die rechte.

Keine Aischa weit und breit. Die drei kehren nach etwa einer Stunde zurück ins Hotel, erschöpft, enttäuscht. Der Mann an der Rezeption telefoniert der Polizei. Endlich. Der Dorfpolizist, unser leidenschaftlicher, treffsicherer Jäger, trifft nach wenigen Minuten ein. Ganz gemütlich klopft er sich vor dem Haus den Schnee ab, begibt sich ruhigen Schritts zur Rezeption, lässt sich ausführlich informieren, nickt verständnisvoll, nickt unaufhörlich, auch er versucht zu beruhigen, scheint beinahe etwas belustigt. Denkt wohl an einen Familienstreit. Oder an ein Versehen. Ein Missverständnis. Oder hat da einer etwas zu viel getrunken? Sind vielleicht Drogen im Spiel ?

Den Eltern von Ahmed bleibt nichts anderers übrig, als kurz vor Mitternacht ihr Zimmer zu beziehen. Sie legen sich, ohne sich zu entkleiden, entkräftet auf die Betten.

Der Rest ist rasch erzählt. Einen Monat später stirbt Ahmed in Jerusalem im Kugelhagel. Mit zwei jungen bewaffneten Palästinensern, einem Mann und einer Frau, Studenten aus Bir Zeit, sei er auf abenteuerliche Weise nach Jerusalem gelangt. Offensichtlich war ein Anschlag geplant. Als Vergeltung. Eine typische Racheaktion von jungen Palästinensern nach einem typischen israelischen Übergriff auf palästinensiches Territorium, mit Toten als Reaktion auf einen perfiden palästinensischen Raketenangriff auf israelisches Gebiet mit Toten und Verletzten als Reaktion auf andere Tote, als gerechte Reaktion auf einen perfiden Angriff der andern, ewig wechselnd. Die Opfer wiederum junge, hasserfüllte,todesmutige junge Männer, Terroristen, so geheissen von den einen, Freiheitskämpfer von den andern, die drei feigen Hooligans, die drei tapferen Helden, darunter eine Frau, Studenten von Bir Zeit, hätten versucht, schwer bewaffnet in die Altstadt von Jerusalem einzudringen.

Ahmed wollte unbedingt mit dabei sein. Solidarisch sein. Solidarisch vor allem mit Aischa in ihrem Kampf gegen die verhassten Israeli. Er habe merkwürdigerweise als einziger keine Waffe auf sich getragen. Bevor die beiden jungen Palästinenser überhaupt zur Waffe hätten greifen können, einer Pistole, hätten drei junge, mutige israelische Sicherheitsleute die Eindringlinge niedergestreckt.

In der ledernen Jacke von Ahmed fand das israelische Militär zwar ein Schweizer Militärmesser, schwarz, 9 cm lang, vermutlich ungebraucht. Es wurde konfisziert. Eine zerknitterte Ansichtkarte von Isla sowie ein rotes Seidentaschentuch übergaben die Sicherheitsleute überraschenderweise am übernächsten Tag der palästinensichen Grenzkontrolle.

Das Ende von Aischa. Etwa ein halbes Jahr nach dem Tod von Ahmed findet sie ihre letzte Ruhestätte neben Ahmed im heimatlichen Boden in den Judäischen Hügeln.

Der Einsatz von Lawinenhunden hoch oben in Arosa war leider erfolglos geblieben. Man hatte noch am selben Tag zusätzlich Militär von Chur her aufgeboten und unverdrossen nach Aischa gesucht, tagelang. Aischa blieb verschwunden. Vielleicht doch irgendwo vom Schnee zugedeckt, so die Vemutung der Polizei, das sei schwierig. Man müsse den Frühling abwarten.

Ahmed und seine Eltern waren nach einer Woche des vergeblichen Suchens, Wartens und Hoffens nach Hause zurückgekehrt.

Dann im Frühsommer die Nachricht: Aischa ist gefunden worden, unverwest, mit blutbefleckten weissen Handschuhen, zwei Vorderzähne eingeschlagen. an einer unwegsamen Stelle oberhalb des Dorfes, wo in jener unheilvollen Nacht eine Lawine niedergedonnert sei, gottlob in gehöriger Distanz zur Piste und zur Loipe.

Die wärmende Sonne hatte Aischa in jenem Frühsommer ans Licht gebracht.

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